Nahverkehr〈電車〉und Radverkehr〈自転車〉

Nahverkehr〈電車〉und Radverkehr〈自転車〉

Heute möchten wir vom Verkehr berichten, schließlich sind wir jeden Tag ziemlich viel unterwegs. Schon in Deutschland stellte sich uns die Frage, ob wir ein Auto haben wollen oder nicht. Ein Auto kann man in Tokio nämlich nur anmelden, wenn man nachweislich auch einen Stellplatz dafür hat. Das kann die eigene Garage sein oder ein öffentlicher Parkplatz mit Dauermietvertrag.

Unsere Garage im Rohbau inkl. Wasserhahn und Steckdosen.
Öffentlicher Parkplatz vor unserer temporären Wohnung in Kanda. Wer hier wohnt und ein Auto möchte, muss sich seinen Stellplatz mieten. Wie man sieht - machen das nicht viele (Kosten 750€ / Monat).

Unsere Wohnung in Minamisenzoku hat zwar eine Garage, da wir aber aufgrund der Größe der Wohnung früh entschlossen hatten, dass wir die Fläche für Lager, Hobby und letztlich Fahrräder brauchen würden, war klar - wir machen das ohne Auto. Geht in Tokio eigentlich auch problemlos.

Schienenverkehrsnetz in der Metropolregion Tokio

Der Nahverkehr ist in seiner Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Akzeptanz mit wenig zu vergleichen – exzellent.

Zugegeben - ohne Smartphone war das alles etwas komplizierter. Vor 10 Jahren waren zwar die meisten Beschilderungen schon mehrsprachig, aber die Routenfindung extrem schwierig. Andererseits, hatte man dadurch mehr "zufällig" entdeckt und alles war noch etwas mysteriöser.

Heute gibt man sein Wunschziel in Apple Maps ein und der Fußweg zum präzisen Eingang der Bahnstation, der beste Wagen zum Einstieg (um das Umsteigen zu erleichtern) sowie der beste Ausgang am Zielbahnhof werden unmittelbar angezeigt. Um ins Bahnsystem einzuchecken wird das iPhone einfach auf das Drehkreuz getippt und in einem Bruchteil von Sekunden wird der Ticketpreis abgebucht. Kein Ticketautomat oder Tarifsystem muss verstanden werden.

Bahnstationen sind einfach zu navigieren – alles ist komplett zwei- (japanisch / englisch), drei- (jpn / eng / chinesisch) oder sogar viersprachig (jpn / eng / cn / koreanisch) ausgeschildert und zwar so, dass man nirgends "den Faden verliert". Man folgt einfach den Schildern, welche in regelmäßigen Abständen einsichtig platziert sind.

Einstieg zur Unterwelt.

Teilweise bedeutet dies lange Wege, wenn man nicht den empfohlenen Eingang wählt — so eine Metrostation kann sich unterirdisch über mehrere Blocks ziehen. Aber die unterirdischen Labyrinthe der Stationen sind auch aufregende Orte, an denen man Läden, Restaurants und alles was man sonst noch so im täglichen Leben brauchen könnte (Frisör, Blumenladen, Versicherungsagentur, etc.) findet.

Dazu werden wir später sicherlich einmal ausführlich schreiben, es sei nur so viel verraten: was wir als Unterführung aus Deutschland kennen (Pipi, Dreck und Gefahr am Abend) ist hier das Gegenteil. Luxusshopping, Michelin Sterne Restaurants und bequemer Fussweg abseits von Straße, Wind und Wetter.

Ein beispielhafter 27-minütiger Spaziergang komplett unterirdisch im Labyrinth unter Tokyo Station. Die lila markierten Flächen sind die unterirdischen Passagen - alle miteinander verbunden und mit direktem Zugang zu den darüberliegenden Gebäuden.

Für uns ist in den ersten Tagen der Bahnverkehr das Hauptfortbewegungsmittel. Am Flughafen haben wir das Gepäck, wie bereits erwähnt, abgegeben und ins Apartment liefern lassen, sodass wir bequem mit der Bahn fahren können. Taxis sind hier zwar auch hervorragend, aber Charlotte wird beim Autofahren ja schnell mal schlecht. In den ersten zwei Wochen fahren wir so exklusiv Bus und Bahn und Charlotte gewöhnt sich schnell an die Regeln (ruhig sein, keine dreckigen Schuhe auf dem Polster, fleißig die Herzen Mitreisender mit viel anlächeln und Handküsse geben brechen).

Im Zug ist es zumeist flüsterleise, sofern nicht zu viele Touristen da sind oder die Schule gerade aus ist und die Kinder doch manchmal so aufgeregt erzählen, dass sie vergessen zu flüstern. Man wird auch regelmäßig daran erinnert nicht zu telefonieren und sein Telefon lautlos (auf japanisch "Manner-Mode"= Anstandsmodus) zu schalten.

Wenn wir während der rush hour in die JR Yamanote Line, die "Ringbahn" von Tokio, mit Charlotte in der Trage und einer großen Einkaufstüte einsteigen, puzzelt sich alles wie magisch doch irgendwie zusammen und man hat genug Platz um berührungsfrei, mit sicherm Haltegriff in der Bahn zu stehen, obwohl diese beim Einfahren noch komplett überfüllt wirkte. In jedem Waggon gibt es einen Bereich für Alte, Kranke, Schwangere (ein kleiner Anhänger an der Tasche zeigt, dass man schwanger ist, sodass auch noch nicht durch großen Bauch sichtbar schwangeren Frauen ein Platz zusteht) oder Eltern mit kleinen Kindern der speziell freigehalten wird. In der Rush Hour gibt es Waggons, die exklusiv Frauen zur Verfügung stehen - jeder Bahnsteig hat dezidiert vor den Türen eingezeichnete Wartelinien, um für den richtigen Zug an der richtigen Stelle einzusteigen.

Charlotte mit Mama im Priority Seating.

So ist der enge Raum, den sich so viele Menschen teilen, eine relativ stressfreie Umgebung. Alle nehmen aufeinander Rücksicht, um die Fahrt so entspannt wie möglich zu gestalten. Alles irgendwie magisch; es funktioniert einfach - solange man sich an die Regeln hält.

Normalerweise - linksverkehr- würde man sich links halten. Aber um den Fluss zu erleichtern hier explizit andersherum.

Auch beim Umsteigen und auf den Wegen ist alles auf Struktur und effektives Durschleusen vieler Menschen ausgelegt: jede Treppe und jeder Gang gibt an, ob man sich hier links oder rechts halten soll. An einem Sonntagnachmittag nicht notwenig, aber in der Rush Hour essentiell, um Chaos zu vermeiden.

🎶 I want to ride my bicycle 🎶

Mama Chari - ママチャリ

Nach zwei Wochen exklusiven Bahnfahrens und Laufens haben wir uns dann Fahrräder gekauft. Fahrräder werden hier etwas anders klassifiziert als in Deutschland. Bei uns gibt es Rennrad, Mountainbike, Trekkingbike und vielleicht noch das Citybike (oder im Norden das Hollandrad) - alles in allem oft eher sportlich und auf Tempo orientiert.

In Japan hat man in der Stadt das Shopping-Bike und das Mama Chari, d.h. den "Mama-Streitwagen" und das jeweils als Pedelec (meistens) oder ohne Motor. Klar fahren hier auch die edelsten italienischen Rennräder als Sportgeräte um den Kaiserpalast und in den Bergen gibt es Mountainbiker mit vollgefederten Mountainbikes - aber keiner würde auf die Idee kommen mit sowas durch die Stadt zum Einkaufen oder zur Arbeit zu fahren.

Im Allgemeinen sitzt man auf so einem japanischen Fahrrad léger, aufrecht und bequem. Alles was dreckig machen könnte (Kette, Reifen, etc.) ist verpackt und besteht aus robusten, wartungsarmen Komponenten. So sind diese Fahrräder ziemlich alltagstauglich und ein echter Ersatz fürs Auto.

Das sogenannte Mama Chari 〈ママチャリ〉 hat hinten einen bequemen Sitz für Charlotte, der bei Regen komplett zugemacht werden kann, sodass sie im Trockenen sitzt. Einen großen Einkaufskorb für Vorne gibt es dazu. Bei Bedarf kann dort auch noch ein zweiter Kindersitz montiert werden. Nicht selten sieht man Mütter, die zwei Kinder - eins vorne, eins hinten - im Fahrradsitz haben und dann das dritte in der Trage durch Tokio kutschieren. So ersetzt das Fahrrad den Kinderwagen (auch bei uns schon der Fall – obwohl der Micro Buggy noch immer auf der Wunschliste steht).

Charlotte mit Helm im Mama Chari; seit kurzem gibt es eine Helmpflicht für Kinder.

Das Fahrrad wird wie ein Motorrad aufgeständert, wobei das Vorderrad automatisch feststellt. So kann Charlotte sicher einsteigen und nichts kann umfallen. Das Rahmenschloss reicht in Tokyo aus, sodass man außer dem Schlüssel nichts mitzunehmen braucht. Bei Janina ist das sogar wie beim Auto ein Funkschlüssel: Aufsteigen -> Einschalten -> Losfahren.

Panasonic Gyutto - Name der vielleicht ausserhalb Japans nicht ganz so gut von der Zunge geht.

Benjamin, hat das klassisch, schwarze Shoppingbike in der Pedelec Version gewählt, auf dem er auch im Anzug mit Aktentasche im Körbchen noch eine gute Figur macht.

Panasonic Timo - einfacher.

Die Fahrräder sind nicht leicht, aber die Fahrradgaragen entweder ebenerdig oder mit Schiebehilfe bzw. Aufzug ausgestattet. Apropos Fahrradgaragen: dazu später bestimmt noch einmal mehr, zunächst nur so viel: in Tokio stellt man sein Fahrrad nirgends einfach so auf der Straße ab. Es gibt spezielle Parkplätze und Tiefgaragen nur für Fahrräder.

Parkverbot auf Straßen und Gehwegen für Roller und Fahrräder. Achja, und geraucht werden darf auch nirgends 👍.

Das Fahrradfahren selbst ist im Großen und Ganzen auf "Shared Space" angelegt. Die Straßen haben zwar am Rand zumeist einen "gestrichelten" Fahrradweg - die Autofahrer haben aber auch hier ein starkes "Vorrechtsgefühl" und man fühlt sich nicht immer sicher, insbesondere wenn man einen kleinen Passagier im Rücken hat.

Die Straßenverkehsordnung besagt, dass Fahrradfahrer auf der Straße fahren müssen. Außer wenn man sich dabei unsicher fühlt. Oder wenn es nicht geht. Solche "pragmatischen" Regelungen passen glaube ich in kein deutsches Gesetzbuch :-).

Viele Radfahrer machen von diesem Wahrlecht gebrauch und wählen den Fußweg. Wenn dieser groß ist und nicht viel los ist, klappt das super. Bei Trubel und schmalem Weg wirds schon schwieriger. Wir üben weiter wie die japanische Mama jede Lücke zu sehen und sich mit entsprechendem Selbstvertrauen seinen Platz zu verteidigen. Hauptsächlich macht es uns einfach riesig Spaß wieder mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und auch die neueste Radfahrerin von uns dreien liebt ihr Gefährt jetzt schon sehr!

Endlich wieder Fahrrad fahren.

— cjb aus 神田